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Gedanken über Musik | Kommentare zu ausgewählten Werken

 

Gedanken über Musik

Wir können über Musik sprechen, aber ihr Wesen wird dabei nur sprachlich begrenzt dargestellt. Das Sagbare der Sprache in seiner Begrenzung berührt das Eigentliche der Musik kaum. Denn der musikalische Gedanke hat keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Verbalen. Die Vorstellungswelt des Menschen beschränkt sich nicht auf das begriffliche Denken.

Musik kennt jeder, aber wenige haben umfassende theoretische Kenntnisse von ihr. Selbst ein großer Kreis der professionellen Musiker hat nur partielle wissenschaftliche Vorstellungen von der kaum zu überschauenden Vielfalt musikalischer Erscheinungsformen. Deshalb wird die Totalität der Musik auch in der Musikwissenschaft nicht erfasst. Im Sinne moderner Wissenschaftlichkeit können hier nur begrenzte Hypothesen verifiziert oder falsifiziert werden. Die Totalität der Musik verlangt ein weites Feld von wissenschaftlichen Disziplinen in der Forschung. Das reicht von naturwissenschaftlichen Untersuchungen der Akustik über viele geisteswissenschaftliche Fragen bis in die Bereiche der Psychologie und Medizin.

Musik ist eine sehr wichtige Kunstgattung. Ihre Funktion in der menschlichen Gesellschaft kann sehr vielseitig sein. Denn bei vielen besonderen Ereignissen und Situationen im Leben der Menschen ist Musik wichtig und unersetzbar. Sogar als Mittel zur Heilung von seelischen Erkrankungen wird sie benutzt. Aber ihre höchste Form erreicht sie in der abendländischen Kirchen- und Kunstmusik.

Musik ist vielleicht der unmittelbarste Ausdruck der menschlichen Seele. Wie der Geist des Menschen ist ihr jegliche materielle Substanz fremd. Ihr Stoff ist der Klang in der Zeit. Ihre Form ist gegenständlich und begrifflich nicht zu fassen. Musikform ist etwas Prozesshaftes, Dynamisches und Strukturelles. Das Wesen der Musik ist nur im praktischen Umgang mit ihr fassbar. Das Musizieren und Hören, Komponieren und Improvisieren verbindet uns mit dem Sinngehalt von Musik, der  ästhetischer Natur ist. Wollen wir uns wissenschaftlich der Musik als Klangphänomen nähern, können wir nur über das Feld der praktischen Umgangsformen mit Musik ihren wesentlichen Gehalt hypothetisch fassen. Nur einige Spezialgebiete der Musikwissenschaft wie z.B. Kompositionslehre, Formenanalyse und Rezeptionsforschung treffen das Wesen des Phänomens Musik. Da Musik nur in der Vorstellungswelt des Menschen existiert, muss der Musikwissenschaftler eine besonders enge Beziehung zu ihr haben.

Um in das Wesen der musikalischen Form tiefer einzudringen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit von Künstler und Wissenschaftler. Dabei ist erst einmal eine möglichst genaue Definition von künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit notwendig. Kunst und Wissenschaft sind verschiedene Beziehungsfelder zur Realität, also auch zum Sein der Musik. Beide Beziehungsfelder durchdringen sich sowohl in der künstlerischen als auch in der wissenschaftlichen Arbeit. So hat z.B. die Arbeit eines Komponisten teilweise auch wissenschaftlichen Charakter und die eines Wissenschaftlers auch künstlerischen.

Da Musik eine Erscheinungsform menschlichen Geistes ist, wird hier auch die komplizierte Frage des Leib-Seele-Problems berührt. Der unverwechselbare Inhalt von Musik realisiert sich nur im Geist-Seele-Bereich des Menschen. Oft erkennen wir bei der Aneignung eines Notentextes nicht seinen eigentlichen Sinn.

Musik ist eine der schönsten Künste der Menschheit. Deshalb gibt es auch kaum einen Menschen, der nicht eine individuelle Beziehung zu ihr hat. Die Beziehungen reichen von  einem passiven Verhältnis bis zum professionellen Schöpfertum. Man kann sogar Musik als einen typischen Wesenszug menschlichen Geistes bezeichnen. Soweit wir wissen, haben Tiere keine Musik, aber dagegen sprachverwandte Lautzeichen. Das Menschsein ist ohne seinen Musiksinn nicht vorstellbar. Der tiefe Sinn von Musik liegt allein in der geistigen Freude am tönenden Spiel.